Keine Angst vor „kaltem Wasser“
Liebe Katharina, nach den ersten Sätzen unseres Gesprächs, haben wir bereits einige Gemeinsamkeiten entdeckt. Trotz drei Fremdsprachen, die wir beide in der Schule gewählt hatten, hatten wir den Gedanken nach dem Abitur Jura zu studieren. Während ich mich kurzfristig doch für das Romanistik Studium entschieden habe, hast du zunächst Rechtswissenschaften studiert.
Ich bin ja schon in der Schweiz, wo wir bis zu meinem 8. Lebensjahr gelebt haben, zweisprachig aufgewachsen. Schwyzerdütsch haben wir im Kindergarten und mit Freunden gesprochen und Hochdeutsch zu Hause. Die Familie väterlicherseits stammt aus der Gegend um die französische Grenze, somit war unsere Familie schon immer sehr frankophil. Ich habe mich gefreut, dass ich auf dem Gymnasium in Mainz Französisch als erste Fremdsprache wählen konnte und Englisch als zweite. Zu meiner Herzenssprache hat sich jedoch Spanisch entwickelt, meine dritte Fremdsprache an der Schule.
Trotz meiner Liebe für Fremdsprachen, habe ich mich mit einem idealistischen Ansatz für Jura entschieden, weil ich für Gerechtigkeit kämpfen wollte. Nun, meine Praktika in verschiedenen Kanzleien ernüchterten mich insofern, dass dort die Rechtsanwälte tagein tagaus hinter dem Schreibtisch saßen und nicht täglich im Gerichtssaal standen. (lacht). Mein Auslandsaufenthalt in Valencia, ich habe am Erasmus Programm teilgenommen, hat mich sehr geprägt. Ich habe mich in Spanien verliebt und mein Ziel war, eines Tages zurückzugehen und dort zu leben. Mit meiner Entscheidung das Jurastudium abzubrechen, bzw. den Studiengang zu wechseln, habe ich zwar meinen Eltern das Herz gebrochen, aber mir wurde klar, dass Jura nicht mein Fach war.
„Es ist so wichtig schon in jungen Jahren die Komfortzone zu
verlassen, denn so werden resiliente Menschen geformt.“
Was hat dich an Spanien so fasziniert?
Kanntest du damals bereits deinen Ehemann?
Was hat deinen Mann aus Kolumbien nach Deutschland geführt?
„Wir hatten weder einen Job, noch eine Wohnung,
haben einfach ein One-Way-Ticket gebucht.“
Wie erging es euch als frisch Verheiratete und dir als frische Absolventin?
Ich liebe solche Geschichten! Wie ging es weiter?
„Hier sind dein Laptop und dein Handy.
Mach, du kannst es!, sagte mein Chef zu mir.“
Was war das für ein Unternehmen?
Die Firma vertrieb Metall- und Kunststoffrohre für die Elektroinstallation. Wenn du in Parkhäusern oder an Flughäfen an die Decke schaust, siehst du sie. Sie hatten einen wichtigen großen Kunden in Deutschland gewonnen und brauchten eine Mitarbeiterin, die Deutsch sprach. So wurde ich Sales Manager für Mittel- und Osteuropa. Hier sind dein Laptop und dein Handy. Mach, du kannst es!, sagte mein Chef zu mir.
Er scheint etwas in mir gesehen zu haben, das ich selbst noch nicht erkannt hatte. Und ich habe gemacht! Mit unzähligen Fragen und Eigenrecherchen habe ich mich durchgekämpft. Jedes Produkt habe ich förmlich auseinandergenommen, den kompletten Prozess der Herstellung gelernt. Ich habe mich sogar in Galvanik eingelesen, denn ich habe Kataloge erstellt und die Texte der Beschreibungen wollte ich perfekt haben.
Wie sollte ich verkaufen, wenn ich das Produkt nicht im Detail kenne? Wir waren ein Unternehmen mit kleiner Struktur und ich habe mich mit allem beschäftigt und habe eigenständig Lösungen gefunden. Nach einem Jahr stieg ich zum Export- und Marketing Director auf und hatte mir unglaublich viel Wissen angeeignet.
Das nenne ich mal einen Sprung ins kalte Wasser. Warum verlässt man eine so wunderschöne Stadt wie Barcelona?
Die Finanzkrise 2008 / 2009 hat Spanien in eine sehr tiefe Krise katapultiert. Ich war mit unserer ersten Tochter schwanger und die Unternehmen, für die wir tätig waren, waren beide von der Krise schwer betroffen. Mein Mann war für Engel & Völkers tätig, unsere Firma hing auch vom Immobilienbau ab und unser Exportgeschäft war noch im Aufbau, wir hingen von den Investoren in Spanien ab.
Diese dramatische Zeit, hat mir gezeigt, wie gut wir es in Deutschland haben. In Spanien gab es kein soziales Netz, kein Kindergeld, kein Elterngeld und ich habe bis zu einem Tag vor der Geburt gearbeitet. Um uns herum verloren die Menschen ihre Arbeit, ihre Häuser, weil sie die Kredite nicht mehr zahlen konnten, und es spielten sich Tragödien ab, Selbstmorde und sehr vieles mehr, das uns erschütterte. Auch wir haben zwei Monate kein Gehalt bekommen, weil die Wirtschaft lahmgelegt war. Es war Zeit nach Deutschland zurückzukehren.
Wie gestaltete sich die Rückkehr?
„Es ist nicht einfach Karriere und Familie zu verbinden.
Rückblickend frage ich schon, wie ich das alles geschafft habe.“
Aber du hattest direkt einen Job, von daher ist ja erst einmal alles gut gegangen, oder? Hatte dein Mann auch direkt eine Arbeitsstelle?
Für ihn gestaltete sich die Arbeitssuche schwierig. Das Sauerland ist nicht Frankfurt oder Hamburg, wo internationale Juristen eher gesucht werden. Er hat eine Umschulung gemacht. Wir mussten einfach starten und ich war die Hauptverdienerin. Natürlich bin ich unzähligen Vorurteilen begegnet. Das Unternehmen, für das ich tätig war, bestand seit 100 Jahren und ich war die erste Frau im Produktmanagement. Klar wurde hinter meinem Rücken getuschelt, weil meine Tochter erst ein halbes Jahr alt war und ich Vollzeit arbeiten ging, aber unsere Tochter war ja bei ihrem Vater, ich habe sie ja nicht irgendwo ausgesetzt.
Ich habe gelernt, dass auch schwierige Momente im Leben wichtig sind. Es ist nicht einfach Karriere und Familie zu verbinden. Rückblickend frage ich schon, wie ich das alles geschafft habe. Vielleicht, weil mein Fokus nie auf dem Problem lag, sondern auf der Lösung des Problems.
Wie hast du dich organisiert, um Karriere und Familie unter einen Hut zu bekommen?
Meine Eltern lebten nicht in der Nähe. Wir hatten keine Familie, die uns hätte unterstützen können. Wir hatten Glück für unsere Töchter eine wunderbare Tagesmutter gefunden zu haben. Unterstützt haben wir berufstätigen Frauen uns untereinander. Wir waren nur drei, zwei davon mit Migrationshintergrund, die es von zu Hause kannten, dass Mütter arbeiten gehen.
Es hat sich zwar mittlerweile einiges getan, aber auf dem Land herrscht immer noch die deutsche Denke, dass Frauen mit den Kindern zu Hause bleiben. Das ist auch völlig in Ordnung, wenn eine Frau sich dafür entscheidet. Ich hatte jedoch keine Wahl, ich musste Vollzeit arbeiten und das haben Frauen, die zu Hause sind, mitunter verurteilt. Man lernt sich zu organisieren, aber wenn jemand krank ist oder etwas anderes Unvorhergesehenes eintritt, bricht das mühsam aufgebaute Gerüst zusammen. Nach ein paar Jahren stand der Umzug ins Saarland an die französische Grenze in die Nähe meiner Eltern als nächste Station an.
„Die Unterschiede zwischen Mittelstand und
internationaler AG sind nicht von der Hand zu weisen.“
Wohin bist du gewechselt?
Heute bist du als Senior Vice President International beim Verband Arge Neue Medien. Vom spanischen Unternehmen, zum deutschen Mittelstand, zum deutsch-internationalen Konzern und jetzt zum Verband, liebe Katharina, du liebst die Sprünge ins kalte Wasser wirklich (lacht). Ich bin jetzt gespannt, was du uns von deiner aktuellen Tätigkeit erzählst. Wie viele Mitarbeiter seid ihr bei Arge und was reizt dich an deiner aktuellen Position?
Das Spannende war für mich, dass es auch diese Position vorher nicht gab. Jede Stelle, die ich bisher besetzt habe, gab es in dieser Form vorher nicht. Damit tritt man keine Nachfolge an, sondern kann neugestalten und umsetzen. Das macht den Reiz für mich aus. Ich bin sehr begeisterungsfähig und freue mich Weichen neu stellen zu dürfen. Wie in Barcelona zu Beginn meiner Karriere, tauche ich in meine Aufgaben, Produkte und Dienstleistungen komplett ein. Ich kann mich sogar für Rohre und Klemmen begeistern, wenn ich verstehe welche Lösung sie bieten.
Wir sind um die 15 Personen in der Geschäftsstelle und betreuen 126 noch überwiegend deutsche Hersteller aus der Sanitär, Heizung und Klima Branche. Der Verband wurde vor 36 Jahren gegründet und weitet seinen Wirkungskreis seit etwa 5 Jahren international aus. Unsere Aufgabe liegt primär auf der Prozessoptimierung und Standardisierung von Produktstammdaten in einer Datenbank auf die unsere Zielgruppen, der Großhandel, die Installateure und Architekten und Planer Zugriff haben. Das ist eine sehr facettenreiche Aufgabe, denn der Datenaustausch stellt uns international vor Herausforderungen, da jedes Land unterschiedliche Formate und Richtlinien verwendet. Jedes der 14 Länder außerhalb Deutschlands analysieren wir individuell, denn wir können ihnen nicht neue Vorgaben einfach überstülpen.
Was macht guten Vertrieb für dich aus?
Es sind mehrere essenzielle Punkte und Anforderungen aus meiner Sicht.
- Kompetenz Die erste Anforderung ist für mich, dass man das Produkt, das man verkauft beherrscht. Damit meine ich nicht nur USPs herunterbeten, sondern alle Prozesse der Entwicklung und Fertigung kennen und alles, was noch im Hintergrund dazu gehört. Niemand hat die Zeit dir alles beizubringen, du musst es selbst wollen und dir die Informationen aus eigenem Interesse zusammensuchen.
- Begeisterung Wenn du von deinem Produkt nicht 100% überzeugt bist, kannst du noch so ein guter Schauspieler sein, der Kunde wird es spüren. Begeisterung kann auch durch Produktkenntnis entstehen. Wenn du verstehst, welche Lösung dein Produkt bietet.
- Emotionale Intelligenz Das ist ein essenzieller Faktor, der bei sehr vielen Vertriebsmanagern leider nicht existiert. Egal wie einzigartig dein Produkt sein mag, wenn es das Problem des Kunden nicht löst, ist es nutzlos für diesen Kunden. Du musst deinen Kunden und seine Aufgaben im Unternehmen verstehen. Welches Problem kannst du lösen? Nur darum geht es. Ich habe schon erlebt, dass durch das Gespräch klar wurde, das ein ganz anderes Produkt aus unserem Portfolio viel besser passte, welches ich zuvor gar nicht in Erwägung gezogen hatte. Dies erfordert emotionale Intelligenz. Du musst intuitiv schalten und das Gespräch in eine andere Richtung lenken. Empathie, die Fähigkeit sich in sein Gegenüber hineinfühlen zu könne, bietet gerade in den Bereichen Vertrieb und Marketing viele Vorteile. Ich weiß bis heute nicht, ob man das lernen kann.
- Interkulturelle Kompetenz Im internationalen Kontext ist diese sehr wichtig. Ich erinnere mich, wie enttäuscht die Spanier von den Meetings mit deutschen Kunden waren. Sie kamen, machten sofort das Laptop auf, fokussierten sich auf das Meeting und danach ging es sofort zurück zum Flughafen. Die Einladung zum Essen haben sie aus Zeitgründen nicht angenommen. In Spanien ist es sehr wichtig sich auch persönlich kennenzulernen. Dieser wichtige Part wird in unserer schnelllebigen Zeit sehr unterschätzt.
- Kommunikation Bei allem ist aber die Kommunikation das A und O. Sachverhalte didaktisch und in möglichst einfachen Worten rüberzubringen und miteinzukalkulieren, dass der Gesprächspartner vielleicht einen anderen fachlichen, kulturellen, sprachlichen oder persönlichen Hintergrund hat, ist essenziell für die Kommunikation. Mit einer wertschätzenden und positiv konnotierten Wortwahl lassen sich Sachverhalte so rüberbringen, dass sie beim Gegenüber eher im Gedächtnis bleiben und ein Dialog viel besser gelingt. Dazu gehört auch „echtes“ Zuhören, also das Aufnehmen der vom Gegenüber angebrachten Punkte, nicht nur das Abwarten des eigenen nächsten Gesprächsbeitrags.
„Daten und Technik sind wichtig, Verbindungen
werden jedoch durch Menschen geschaffen.“
Vielen Dank für die ausführliche Schilderung. Wie lebst du persönlich die erwähnten Punkte?
Ich muss mich dafür nicht verstellen. Bei mir gelten die gleichen Regeln für Kunden und für Mitarbeiter und Kollegen. In Video-Calls hatte sich mein Team aus London, Paris, Moskau, Warschau etc. zugeschaltet und manchen bin ich noch nie persönlich begegnet. Neben dem primären Ziel der Zusammenarbeit interessiert mich immer der Mensch dahinter. Und wenn ich weiß, wie es jemandem persönlich geht, seiner Familie, den Kindern, dem Hund oder der Katze, hat man eine viel bessere Ebene für ein harmonisches Miteinander und auch für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Daten und Technik sind wichtig, Verbindungen werden durch Menschen geschaffen.
Erst in den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass das Hineinfühlen können und wollen in Andere nicht selbstverständlich ist, obwohl es das für mich ist. Häufig frage ich mich, warum wir nicht respektvoller miteinander umgehen. Warum fällt es manchen Menschen mitunter so schwer einfach offen und freundlich aufeinander zuzugehen? Was ist so schwer daran, zu versuchen die Sichtweise des Gegenübers einzunehmen und Kompromisse zu finden? Du gewinnst nicht, wenn du Menschen schlecht behandelst, auch wenn du denkst, du hättest gewonnen. Langfristig führt das nicht zum Erfolg.
Danke dir liebe Katharina für das tolle Gespräch. Meine Abschlussfrage an dich: Zu welchem Song rockst du?
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Ihren Song findet ihr übrigens in unserer Spotify-Playlist.
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Hermina Deiana | Public Relations Consultant MarketDialog GmbH
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