Die Vertriebs-Visionärin​

Die Vertriebs-Visionärin

Seit 2017 ist Christina Riess die Präsidentin eines Wirtschaftsverbandes: Die Vertriebsmanager, dem einzigen Verband für Führungskräfte im Vertrieb. Seit 2018 haben wir versucht zueinander zu finden, um dieses Gespräch zu führen. Sie war eine der ersten Personen, die ich zu unserem Rocking Sales Blog eingeladen hatte, weil ich neugierig war, wer diese Frau ist, die in der männerdominierten Sales-Landschaft auf diesem Posten sitzt. Das Warten hat sich gelohnt. Wir haben uns gesucht und gefunden.

Liebe Christina, das Warten hat ein Ende, endlich haben wir uns! Bevor wir zu deiner Rolle als Verbandspräsidentin kommen, möchte ich dich zuerst einmal kennenlernen. Wie bist du zu der Frau geworden, die du heute bist, was hat dich geprägt?

Als Kind wollte ich Ärztin werden: Notärztin in der Luftrettung; mein Vorbild war hier meine Oma, die als Allgemein-Medizinerin tätig war. Auf der anderen Seite war ich allerdings auch stark geprägt von meinen Großvater und Vater, die beide als Ingenieure ihren Weg in den Vertrieb gefunden hatten: Wie halte ich Kundenbeziehungen aufrecht – das war bei uns ein Dauerthema, dem ich nicht entrinnen konnte (lacht). Trotzdem wollte ich zunächst weder etwas Technisches machen noch in den Vertrieb gehen. Kurz vor dem Abitur bin ich dann aber auf den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen aufmerksam geworden. 

Besonders reizvoll fand ich, dass ich Technik und Wirtschaft miteinander verbinden und bereits nach vier Jahren ins Berufsleben starten konnte – also auf eigenen Beinen stehen und mein eigenes Geld verdienen konnte. Mit einem Medizinstudium wäre dies erst so mit Mitte dreißig losgegangen. Und dann ging es ganz schnell mit dem Vertrieb: meine Diplomarbeit schrieb ich bei Airbus im Vertrieb; mit nahtlosem Übergang startete ich im Customer Service direkt mit einer Teamleitung im Bereich Geschäftsentwicklung. So bin ich also doch noch und ohne Umwege im Vertrieb gelandet.

Wie lange warst du bei Airbus und welche Stationen hast du durchlaufen?

Insgesamt war ich zehn Jahre bei Airbus, davon eine Zeit lang als Technische Leiterin und als Business Unit Leiterin für den Bereich Tender-/Bid-Management. Ich habe dort sehr viel gelernt und mich stetig weitergebildet – unter anderem machte ich die Ausbildung zum zertifizierten Black Belt und einen Lehrgang zur Hubschrauber-Mechanikerin.

Und es stellte sich heraus, dass die Kombination aus Technik und Wirtschaft für meinen weiteren Werdegang ziemlich wichtig war: Ich kenne und verstehe beide Welten; ich kann sogar in beiden Welten fachlich und strategisch tätig sein – das ist wirklich sehr abwechslungsreich und macht mir sehr viel Spaß.

Nach 10 Jahren im Konzern merkte ich, dass ich dort kurzfristig in den starren Konzernstrukturen nicht mehr erreichen und mich auch nicht mehr weiterentwickeln konnte. Da wusste ich, dass es an der Zeit war, zu gehen. Meine Füße waren größer als die Schuhe, die mir Airbus bot.

Jetzt bin ich gespannt, wie es für dich weiterging.

Ich bin als Mitglied der Geschäftsleitung zu DC Aviation gewechselt, einer privaten Airline mit dreißig Business Jets. Das war zwar immer noch Luftfahrt, aber eine ganz andere, neue Welt. Als Vertriebs- und Kundenservice-Leiterin war ich für sehr viele Themen verantwortlich und ins Operative involviert: Kundenakquise, Vertragsverhandlungen, Aufrechterhaltung der Kundenzufriedenheit in und durch die Operation, Durchführung von Due Diligences, M&As, bis hin zu Eröffnung von neuen Niederlassungen. 

Mit sehr wohlhabenden Menschen zu arbeiten, bedeutet für anspruchsvolle Kunden und Projekte tätig zu sein: alles muss sofort und schnell passieren, man muss extrem flexibel sein und ist auch kreativ sehr gefordert. Aber auch hier wurde es mir nach drei Jahren zu eng. Ich habe Trends erkannt und Lösungen gesehen, die meine Kolleg:innen nicht wahrgenommen haben. Die logische Schlussfolgerung war für mich, dass ich mein eigenes Unternehmen gründete.

“Ich habe mein eigenes Unternehmen gegründet – alleine, ohne Partner, ohne Investoren.”

Du hast dich in der Luftfahrt-Branche selbständig gemacht - das geht doch nicht alleine, oder?

2014 habe ich gegründet – und ja, ich habe es bis heute alleine durchgezogen. Ich wollte keinen weiteren Gesellschafter und keinen Investor. Mit einem Geschäftspartner, den ich bereits seit Jahren kannte, habe ich zwar kooperiert, aber jeder hat mit seinem Unternehmen seinen Beitrag zur Zusammenarbeit geleistet. Diese Form der Zusammenarbeit hat uns beiden Freiheit und Flexibilität gewährleistet und wir haben viele erfolgreiche Projekte miteinander realisiert. Als wir keine gemeinsame Weiterentwicklung mehr gesehen haben, haben wir uns freundschaftlich getrennt.

Welche Leistungen bietet deine Firma an?

Gestartet bin ich mit einem Portfolio für Unternehmen und Einzelkunden, die eigene Flugzeuge besitzen. Wir haben unabhängig überprüft, bei welchem Betreiber sie zum besten Preis ihre Operations, Wartung, Crew und Catering für ihr Flugzeug bekommen. Außerdem haben wir Wartungsprojekte koordiniert und Kunden bei der Erlangung oder Aufrechterhaltung von Zertifizierungen unterstützt. Dann kam eines Tages einer unserer Kunden und bat mich um Unterstützung, weil er eine Airline gründen wollte. Ich habe ein Team zusammengestellt und das ganze Projektmanagement übernommen. Wir haben Flugzeuge gekauft, sie innen neu ausstatten lassen, außen mit neuen Lackierungen versehen und bereit gemacht für die Operation. Und schon hat vorhandene Expertise einen neuen Geschäftszweig erschlossen.  

Wer ist mit wir gemeint. Du hast allein gegründet.

Ich habe seit jeher und bis heute mit Freelancern gearbeitet. Ich hole mir für jede Anforderung Spezialisten dazu. Natürlich bilden wir ein Team, aber nicht immer bestehend aus den gleichen Mitgliedern. Alle reden von Fachkräftemangel, aber wenn du Menschen wertschätzt, gut führst, behandelst und fair bezahlst, dann hast du immer gute Leute, die gerne für dich arbeiten. Ich brauche die Flexibilität, mich am Markt und seinen Bedürfnissen orientieren zu können. Mit dem Auftrag für diese Startup-Airline, habe ich nicht gerechnet. Aber ich hatte das nötige Wissen, um das Projekt erfolgreich umzusetzen und die Kontakte, um ein Experten-Team zusammenzustellen. 

Ich habe meine Fühler immer in mehrere Richtungen ausgestreckt. Seit Jahren habe ich daher auch eine Kooperation mit der Unternehmensberatung Roland Berger – so bin ich in den Geschäftsbereich Drohnen und Flugtaxis reingekommen. Das hatte sich glücklicherweise zu einem neuen Standbein entwickelt, bevor durch Corona das ganze Airline-Geschäft eingebrochen ist – ich konnte diesen Ausfall zu 100% substituieren. Und schließlich ist durch den Angriffskrieg auf die Ukraine eine meiner weiteren Expertisen wieder zum Einsatz gekommen: Verteidigung, Rüstung und Ausschreibungen. Ich könnte noch von so vielen Erfahrungen und Projekten berichten, denn seit meiner Zeit bei Airbus habe ich so vielfältige Erfahrungen gesammelt, die mich so wahnsinnig bereichert und vorangebracht haben.

Du erwähnst lässig in einem Nebensatz die Kooperation mit Roland Berger (lacht). Wie kam es dazu?

Durch mein Netzwerk hat mich ein Kollege angesprochen, der mit Roland Berger für ein Unternehmen aus der Luftfahrt ein Konzept erarbeitet hat und für das sie einen Geschäftsführer suchten. Wäre das nicht etwas für dich, fragte er. Ich hörte mir das Konzept und das Angebot an und erkannte sofort, dass dieser Plan nicht zum gewünschten Erfolg führen würde. Da ich nur Mandate übernehme, die ich auch realisieren kann, lehnte ich diese Rolle als Geschäftsführerin ab, aber wandte mich gleichzeitig an Roland Berger, ob wir nicht miteinander arbeiten wollen. Seitdem haben wir eine Kooperation geschlossen und haben schon sehr viele spannende Projekte miteinander realisiert.  

Du hast ja in diesem Fall schon sehr zielstrebig entschieden und kommuniziert; also eher untypisch für eine Frau!

Meine Erfahrung sagt mir, dass es ganz grundsätzlich nicht viele Personen gibt, die so entschieden ein Geschäftsführungs-Mandat abgelehnt hätten; und zudem relativ wenige Frauen, die bei der anderen Seite an die Tür geklopft hätten. Und an dieser Stelle gebe ich dir Recht: So hätte wahrscheinlich eher ein Mann gehandelt.

“Management-Positionen werden immer noch nach konservativen Maßstäben besetzt.”

Das klingt fast ein wenig vorwurfsvoll.

Na ja, sind wir doch mal ehrlich: wo ist denn der vielbesungene Innovationsgeist, der Deutschland überhaupt erst groß gemacht hat – die Dichter und Denker, Erfinder, Ingenieure und Unternehmer? Der ist die letzten Jahrzehnte Stück für Stück verschwunden; alle haben es sich zu bequem gemacht. Mit dem Resultat, dass andere Länder in Europa in vielen Dingen schon weiter sind als wir in Deutschland. Und trotzdem halten wir daran fest, unsere Management-Positionen nach konservativen Maßstäben zu besetzen. Innovation und Mut kommt nur durch neue Köpfe mit anderem Denken und durch Vielfalt – in jeglicher Hinsicht und Facette. 

Dazu gehört auch, dass erfahrene Manager:innen, sich fachlich qualifizierte und innovativ denkende Menschen an ihre Seite holen müssen; in die Entscheidergremien, nicht als beratende Funktion. Nur so können sich die Unternehmen in der erforderlichen Geschwindigkeit wandeln und dem Führungskräftemangel, der uns durch die (Vor-)Verrentung der Baby-Boomer-Generation droht, entgegenzuwirken. Wer also langfristigen Erfolg haben und sein Unternehmen zukunftsfähig aufsetzen möchte, kommt am Aufbrechen dieser alten Maßstäbe einfach nicht vorbei.

Aber: insbesondere junge Menschen müssen auch verstehen, dass Wohlstand nur durch Leistung erreichbar bzw. erhaltbar ist – und auf dem bequemsten Weg kann man auch nicht aufsteigen und somit nichts verändern. Wir dürfen das Unbequeme, nicht scheuen, sondern müssen es als Herausforderung annehmen, um uns weiterzuentwickeln!

“Es ist faszinierend, dass es 18 verschiedene Rollen im Vertrieb gibt.”

Was bewegt dich in deiner Rolle als Präsidentin des Verbands Die Vertriebsmanager?

Das sind sehr viele Themen: zum einen sehen wir, dass 50% der Unternehmen noch nicht annähernd ausreichend digitalisiert sind – in Zeiten der Zunahme digitaler Startpunkte in der Customer Journey, entstehen hier massive Lücken, die immer schwerer zu schließen sein werden. Auch dem Fachkräftemangel kann durch Automatisierung, Digitalisierung und dem verantwortungsvollen Einsatz von KI wesentlich besser begegnet werden – schließlich gibt es 18 verschiedene Rollen im Vertrieb; was für eine Vielfalt und Komplexität! 

Bei all dem Einsatz und Umstellung von Technologien, dürfen wir natürlich den menschlichen Aspekt nicht vergessen – in Zeiten von Veränderung, multiplen Krisen, permanenter Unsicherheit und Unplanbarkeit, müssen die Mitarbeitenden mitgenommen werden. Hierfür wird den Führungskräften enorm viel abverlangt: transformale statt transaktionale Führung, Kommunikation in realer und digitaler Welt, strategischer Weitblick für Trends und Innovationen, New Work, New Pay, Nachhaltigkeitsreporting und vieles mehr. 

Um an dieser Stelle noch mal auf die 18 Rollen im Vertrieb zurückzukommen – im Vertrieb gibt es nämlich nicht nur Außendienst und Innendienst, sondern neben Customer Service, Aftersales, Bid Management und Channel Management, gibt es eben auch viele strategische Backoffice Positionen. Diese unterschiedlichen Aufgabenfelder gilt es miteinander zu synchronisieren und allen gerecht zu werden. Das ist der berechtigte Anspruch an Führung. Somit sind Führungsthemen, sowie Change und Transformation weitere Themen, die wir mit unseren Mitgliedern angehen. Und schließlich ist da noch das Thema der (mentalen) Gesundheit. Um alle diese Themen kann man die große Klammer der „Zukunftsfähigkeit“ spannen.

“Der Vertrieb ist eine der wichtigsten Funktionen in jedem Unternehmen.”

Was sind deine Ziele mit dem Verband?

Der Vertrieb ist eine der wichtigsten Funktionen in jedem Unternehmen: Hier wird der Umsatz erwirtschaftet, mit dem die Arbeitsplätze erhalten werden. Wir müssen im Vertrieb für gute Rahmenbedingungen sorgen und unsere Teams exzellent ausstatten. Die Führungskräfte brauchen uns als Verband: von mentaler Unterstützung angefangen, über Wissensvermittlung und Weiterbildung, bis hin zu belastbaren Netzwerken. Ich möchte den Verband als Begegnungsplattform etablieren, wo sich Menschen auf Augenhöhe zu Führungsthemen im Vertrieb austauschen können, voneinander lernen sowie gemeinsam die Zukunft entwickeln und gestalten.

Meine Vision ist es, gemeinsam eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft zu schaffen, um in Unternehmen eine Atmosphäre zu kreieren, in der jeder gerne arbeiten möchte und die Möglichkeit hat, sich mit seinem Talent und Wissen einzubringen und dafür Wertschätzung zu erhalten. Eine „Arbeitsmühle“ voller Stress und Druck bringt unzufriedene Menschen hervor, führt zu Resignation und bringt sie nicht nur dazu aus dem Vertrieb auszusteigen, sondern den eigenen Kindern von einem Beruf im Sales abzuraten. Das ist schädlich für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen!

Vertrieb ist nämlich ein toller Job, weil jeder Tag abwechslungsreich ist, weil er von Begegnungen lebt. Wenn dein Kunde glücklich ist, bist du es ebenfalls. Diese Glücksgefühle bei den Mitarbeitenden müssen mehr gefördert und in den Vordergrund gestellt werden, denn sie sind für den Unternehmenserfolg essenziell. Vertrieb darf keine Schinderei sein, das wird dem Berufsbild nicht gerecht, denn es ist ein People Business und sollte als solches gelebt werden.

Wow, liebe Christina. Das war ein Plädoyer für den Vertrieb und hat mich wirklich emotional berührt. Vielen Dank für deine klaren und deutlichen Worte und ich spüre, dass du lebst, was du sagst. Und dazu hätte ich jetzt gerne noch deinen Song für unsere Rocking Sales Playlist.

Mein Lieblingssong lautet Rhythm Is A Dancer von Snap.

Liebe Rocking Sales Leser, Ihr möchtet mehr über Christina Riess erfahren? 
Dann besucht sie doch gerne hier. 
Ihren Song findet ihr übrigens in unserer Spotify-Playlist.
Jetzt reinklicken, stöbern und alle Lieblingslieder unserer Sales-Experten anhören! 
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Ich freue mich auf dich.

Hermina Deiana | Public Relations Consultant MarketDialog GmbH
hermina.deiana@marketdialog.com
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